Der Aufsichtsrat
Mein Name ist Hase …

Mein Name ist Hase …

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen
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Der Hüpfer hat in seiner Version als Osterhase gerade ja mal wieder saisonal ausgedient. In den Schokoladenfabriken wird er wohl in den nächsten Monaten abgestrippt, so eine gängige Kindervorstellung, und in den Purpur des Weihnachtsmanns eingewickelt. Bedauerlicherweise aber scheint ein Verwandter „im Geiste“ dieses niedlichen Mümmelmanns auf nicht irrelevanten Etagen zunehmend eine Ganzjahressaison ins Auge zu fassen: auf der Etage der Unternehmenslenker und zunehmend auch der des einen oder anderen Aufsichtsrats, deren persönliche Vorstellung mit „Mein Name ist Hase …“ eingeleitet werden müsste. Unter Berufung auf den deutschen Juristen (!) Karl Victor von Hase (1834-1860) kann jedes Kind den Halbsatz zutreffend abschließen: „... und ich weiß von nichts“.

Der vorgetragene Befund überrascht im Umfeld des Aufsichtsrats: Seit Jahren bemühen sich die Rechts- wie Wirtschaftswissenschaften um die Ermittlung der angemessenen Information des Aufsichtsrats. Und auch die Praxis erkennt, dass die zutreffende, rechtzeitige und vollständige Information die Basis für jedes verantwortungsbewusste und effiziente Handeln eines Überwachungsgremiums ist. Eine AktG-Reform hat dazu geführt, dass jedes Vorstandsmitglied (und Aufsichtsratsmitglied soweit entsprechend handelnd) dann keine Pflichtverletzung im Amt gegenwärtigen muss, „wenn (es) … bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die angemessene, rechtzeitige, vollständige und richtige Information also gewährt nicht nur die Basis effizienter Unternehmensentscheidungen und Überwachungsleistungen; sie ist gleichzeitig gewissermaßen der Garant für ein ordentliches, sorgfältiges und verantwortliches Organhandeln. Und zugleich die wohl wichtigste Waffe im gegebenenfalls erforderlichen Arsenal der potenziellen Einzelentlastungsbeweise im Rahmen eines Haftungsprozesses gegen Aufsichtsrats- wie Vorstandsmitglieder.

Und dennoch lehrt uns der sich zum „Paradefall schlechter Corporate Governance“ gerierende „Fall VW“, dass gezielte Halb-, Fehl- oder Nichtinformationen das Gebot der Stunde scheinen. Auch wenn nach der öffentlichen Wahrnehmung der Wolfsburger Führungs- und Aufsichtsratsorgane längst das Drei-Affen-Modell („nichts sehen, nichts sagen, nichts hören“) um einen vierten Primaten („nichts riechen“) erweitert worden sein muss, so erscheint doch die Übernahme des geistlichen Schweigegelübdes eine neuartige „Tugend“ zu sein.

Der Wirtschaftsjournalist R. Hank hat einen bemerkenswerten Erklärungsansatz zum Thema „Macht“ formuliert: „Wer die Macht hat, muss sich einen Raum der Unschuld und des Nichtwissens sichern“ (FAS vom 22.01.2017, S. 26). Im Strafprozess kennt jeder Jurist die Formulierung „Mit Nichtwissen bestreiten“ (§ 138 Abs. 4 ZPO). Mit diesem inhaltlich unbestreitbar „sinnlosen“ Satz gelingt es dem letzten Pannenverteidiger, zumindest nicht unwidersprochen die ausgelegten Schuhe eines gegnerischen Vortrags sich (bzw. seinem Klienten) anziehen zu müssen.

Deutet sich mit dem Informationsbegrenzungsprogramm und einem Wissensvermeidungsansatz für Entscheidungsträger ein vollkommen neues Aktivitäts- und damit auch potenziell neues Ausbildungsprogramm für Aufsichtsräte an? Oder handelt es sich dabei um eine vereinfachte Version des neuen US-amerikanischen, postfaktischen Führungsmodells? Was am Stammtisch in fröhlicher Runde mit dem Hinweis „Das will ich gar nicht so genau wissen“ abgetan werden kann, kann (oder soll?) dies zukünftig zu einer Führungs- und Überwachungsmaxime werden? Aktienrechtlich vermag der Ansatz – soweit ersichtlich – wenig weiterführend zu sein, denn anstelle der unmittelbaren Verantwortung im Einzelfall würde regelmäßig ein Organisationsverschulden auf der Vorstands- bzw. Aufsichtsratsebene geltend zu machen und entsprechend zu überprüfen sein. Strafrechtlich muss sich niemand selbst belasten, aber kann dies so weit gehen, dass potenziell belastende, aber führungs- und überwachungsrelevante Informationen systematisch ausgeblendet werden können?

Wollen wir nicht zu schwarzsehen. Und hoffen, dass eine genetische Variation des Tierlebens, die es in der Journaille bereits auf‘s Titelblatt geschafft hat, nicht in die Lehrbücher der Wirtschaftsgeschichte eingeht: der Winterhase.